Talk Illmenau 16.03.2018
In Ilmenau erlebte ich vor 39 Jahren mein zweites Live-Konzert. Es fand in der "Festhalle" statt und nach KARAT im Herbst 1979 waren dort im Januar 1980 die PUHDYS zu sehen und zu hören. Ich war noch ziemlich jung. Um genau zu sein, gerade mal elf Jahre ... Mich gibt es noch immer und die Ilmenauer "Festhalle" zum Glück auch. Sie soll dank der Stadt Ilmenau auch weiterhin existieren und wird künftig hoffentlich noch viele interessante Veranstaltungen im Programm haben. Wer nach fast 40 Jahren zum Glück auch noch immer unterwegs ist, ist DIETER "MASCHINE" BIRR, der ehemalige Frontmann der PUHDYS. Schon seit Wochen wurde seine Talkshow "50 Jahre PUHDYS" in und um Ilmenau ordentlich beworben, am vergangenen Samstagabend war es dann soweit ...
Die Sitzplätze vor der mit zwei schwarzen Polstersesseln und einem Couchtisch gemütlich hergerichteten Podiumbühne, auf der zum Internationalen Frauentag Désiree Nick zu Gast war und am 15. Juni von Gregor Gysi und Hans-Dieter Schütt besucht werden wird, füllten sich zusehends und im Hintergrund liefen in dezenter Lautstärke Songs vom Hauptakteur des Abends.
Wenige Minuten nach 20:00 Uhr betrat der Gastgeber die Bühne. Kai Suttner, der die PUHDYS von 1997 bis zu ihrem letzten Konzert im Juni 2016 als Tourmanager begleitete, begrüßte das Publikum und lud uns zu einer Reise durch das Leben der PUHDYS und das Leben ihres Frontmanns DIETER "MASCHINE" BIRR ein. Eingeleitet wurde die Talkshow mit einem von Kai Suttner vorgetragenen Prolog, welcher vom Gitarristen der Band CITY und MASCHINEs bestem Freund Fritz Puppel verfasst wurde. In ihm hieß es unter anderem: "Wir haben damals einfach aufgehört zu arbeiten und an nichts anderes mehr gedacht, als an Musik. Wir haben mehr Geld ausgegeben, als wir einnahmen, haben praktisch dafür bezahlt, dass wir spielten durften und lebten einfach in dieser seligen Wolke. Letzteres ist bis heute so geblieben." Diesem Prolog folgend bat Kai seinen Talk-Gast auf die Bühne und MASCHINE wurde mit lautstarkem Applaus und vielen strahlenden Gesichtern begrüßt. Standing Ovations ... Passend dazu auch die erste Frage von Kai: "Bevor wir in die Historie der PUHDYS eintauchen, musst Du mir bitte eine Sache erklären. Du kommst in diesen Saal, hast noch kein Wort gesagt, geschweige denn irgendein Lied gespielt und der Saal steht Kopf. Wie machst Du das?" Die Antwort von MASCHINE lautete: "Hallochen! Ja, es ist schön, dass es so ist und ich freue mich darüber. Es ist doch schön, wenn man auf die Bühne kommt und muss nichts machen. Ich könnte also auch sagen, ich wünsche Euch noch einen schönen Abend und gehe wieder nach Hause." Die Lacher waren auf MASCHINEs Seite, hatten aber dennoch Lust auf mehr ...
Nun begrüßte auch MASCHINE die Leute im Saal und man erfuhr sogleich, dass MASCHINE kurz vor Ende des Krieges geboren wurde. Unter großem Schmunzeln musste noch präzisiert werden, dass vom Ende des zweiten (und nicht des ersten!) Weltkriegs die Rede war ... Einem äußerst interessanten und auch lustigen Talk-Abend stand also nichts im Wege und es dauerte nur ein paar Minuten, bis sich MASCHINE seiner Lederjacke und seines Schals entledigte. Es wurde kuschelig, wie im heimischen Wohnzimmer.
Im ersten Teil erzählte MASCHINE von den Anfängen der PUHDYS. Was wurde gespielt, wie kam die Band ins Fernsehen und welche Rolle spielte der DEFA-Film "Die Legende von Paul und Paula" in der Karriere der Band? Wohin wollte sich die Band musikalisch und künstlerisch entwickeln? Wie kam die Zusammenarbeit mit Siegfried Walendy zustande, wie war diese riesige Tournee mit ihm durch die Sowjetunion und was hatte sie mit Stalin zu tun? Woher kamen die Bühnenklamotten und wie entstand Quasters Lederblazer? Ein weiteres spannendes Talk-Thema waren die Konzerte in der Bundesrepublik Deutschland und wie Peter Schimmelpfennig es hinbekam, die PUHDYS auf die mal mehr und mal etwas weniger besuchten Bühnen in den Westen zu holen und ein damit verbundenes Treffen mit Udo Lindenberg. Absolut passend dazu ging es einige Sätze später darum, wie und warum im Jahr 1981 das englischsprachig produzierte Album "Far From Home" entstand. Auch hier wusste MASCHINE zahlreiche Details zu erzählen, lieferte emotionale Einblicke - insbesondere, was den Song "He, John" betrifft - in diese Zeit und auch in die der damaligen Promotion-Tour der PUHDYS durch die USA. Mit der "Rockerrente", der Jubiläumstour "15 Jahre PUHDYS" und auch der "Goodbye-Tour" im Jahr 1989 ging es locker weiter und es folgte ein das Publikum sehr freuendes Stichwort: "Ich stehe einfach gern auf der Bühne und mache gern Musik."
Nach der Feststellung, dass die beiden Gitarren und das Mikrofon selbstverständlich und logischerweise lediglich zu Dekorationszwecken auf der Bühne stehen, griff MASCHINE dann doch ganz beherzt zu einer seiner beiden Gitarren und begeisterte vor einer kurzen Pause alle mit den beiden PUHDYS-Klassikern "Wenn ein Mensch lebt" und "Geh zu ihr". Und wieder standen fast alle im Saal ...
Nun war Pause und die Gäste hatten die Möglichkeit, an der kleinen aber feinen Bar für Getränkenachschub zu sorgen oder für eine Zigarettenlänge nach draußen zu gehen. Leider war der Abend ziemlich windig, leicht verregnet und erwies dem eigentlichen Motto "Ilmenau - Himmelblau" nicht seine Ehre, aber dafür gab es vor dem überdachten Eingangsbereich die Möglichkeit, ein paar Worte mit Kai zu wechseln und das rundete die kurze Pause perfekt ab.
Zu Beginn der zweiten Runde des Talk-Abends stellte Kai erfreut fest, dass sich offensichtlich niemand vorzeitig nach Hause verabschiedet hatte, sondern der Saal sogar noch etwas voller erschien. Kai nahm geschickt den roten Faden des Abends wieder auf und begann, sich mit MASCHINE über die Zeit der Wende und seine Aktivitäten in dieser für alle doch recht schwierigen Phase des Lebens zu unterhalten. Dabei kamen weder das Projekt "MASCHINE & MÄNNER" mit Klaus Scharfschwerdt, Axel Schäfer, Michael Lehrmann und André Kuntze, noch sein damals geschriebener Song "Resignieren kann ich später noch" zu kurz. Erneut gab es äußerst interessante Einblicke in das Leben eines Musikers, dem mal ganz plötzlich das "große" Publikum abhandengekommen war und der auf vielen kleinen Bühnen um jeden einzelnen Zuhörer kämpfen musste. Das Comeback der PUHDYS startete im Jahr 1992, in diesem Zusammenhang wurde auch ausführlich über die heute geltenden und wirkenden Marktmechanismen der Musikindustrie gesprochen.
Sind Till Lindemann - mit dem die PUHDYS den Song "Wut will nicht sterben" aufnahmen - bzw. RAMMSTEIN Idole von MASCHINE? Wer hatte die Ideen zu den beiden Weihnachtsalben- und Tourneen der PUHDYS? Was war für MASCHINE das Highlight im Rahmen des 3.000sten Konzerts in der Berliner Waldbühne? War bei diesem Konzert tatsächlich Mick Jagger dabei? Einen seiner Nachbarn, der darüber völlig begeistert war, ließ MASCHINE jedenfalls in diesem Glauben ... :-)
Warum Klaus Scharfschwerdt und nicht Michael Schwandt (KARAT) als Nachfolger für Gunther Wosylus im Jahr 1980 der PUHDYS-Drummer wurde, wie und warum Peter "Bimbo" Rasym den Bassisten und Manager Harry Jeske am Bass ablöste, in die Band kam und was die Künstleragentur der DDR dabei mitzureden hatte, wurde ebenso ausführlich besprochen, wie auch die Herausforderung, das "Stellvertreter-Konzert" für die Kölner Band BAP anlässlich des Festivals "Rock für den Frieden" im Jahr 1984 im Berliner Palast der Republik zu spielen. Dieser Punkt berührte mich persönlich ganz besonders, denn ich war damals dabei und konnte die von vielen Musikfans empfundene Traurigkeit über die abrupte Änderung des Konzertprogramms im großen Saal des Palasts der Republik bestens nachempfinden. An besagtem Freitag kamen wir am späteren Nachmittag in Berlin an, checkten im "Hotel Stadt Berlin" ein und im Foyer trafen wir tatsächlich BAP! Was für ein Wahnsinn! Händedrücken, riesengroße Freude, aber plötzlich sagte Wolfgang Niedecken zu mir: "Es tut uns wirklich leid, aber wir reisen gerade wieder ab und werden morgen Abend nicht spielen." Oh je ... Er erklärte mir noch die Situation, die zu dieser Entscheidung führte, betrübt war ich dennoch. Tja - und dann spielten statt BAP die PUHDYS. Ich kann keineswegs behaupten, sie wären ein "schlechter" Ersatz gewesen, nach drei oder vier Songs hatten die Jungs um MASCHINE auch das eigentlich wegen BAP erschienene Publikum gut im Griff und lieferten ein astreines Konzert ab, für das ganz sicher auch viel Mut erforderlich war. Lediglich die offizielle Begründung von Detlev Haak (einer der Organisatoren des Festivals), warum BAP abgereist sei und nun die PUHDYS auftreten würden, glaubte wohl nicht ein einziger Besucher im proppevollen Saal. Seine Ansage lautete: "Ihr wisst, heute sollte an dieser Stelle die Gruppe BAP aus der BRD auftreten. Die Gruppe hat es allerdings vorgezogen, gestern wieder abzureisen. Sie wollten nicht unter dem Symbol der weißen Taube auf blauem Grund auftreten. Wir haben eigentlich geglaubt, wir hätten Freunde eingeladen. Freunde, die gemeinsam mit unseren Rockmusikern auftreten zum gleichen Thema, zu gleichen Sache, zur Sache des Friedens. 'Rock für den Frieden 84' geht weiter und deshalb spielen hier zum vierten Konzert bei 'Rock für den Frieden' die PUHDYS!" Na ja, so war das damals eben. Damals, in der DDR ... Die PUHDYS brachten diesen wirklich denkwürdigen Abend dennoch gut über die Bühne und dank der weiteren politischen Entwicklung erlebte ich auch BAP mittlerweile mehrere Male live ...
Im weiteren Verlauf des Talks ging es darum, wie MASCHINE künstlerisch arbeitet, wie er komponiert, wie er Texte schreibt. Zitat: "Man kann auch durchaus mal einen bescheuerten Text machen. Wichtig ist, dass ein Text berührt ..." Und MASCHINE hatte kurz nach der Wende, wie er erzählte, sogar einen "Decknamen": Als Horst Rennweg schrieb er Songs für Musikanten, die ihm sympathisch waren, das Genre spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Damit kam es zu einem überraschenden Highlight, welches durchaus mit Ilmenau zu tun hat: Wer die TV-Sendung "bong" des DDR-Fernsehens mit Jürgen Karney noch kennt, dürfte auch den Sänger Peter Ehrlicher kennen. 1951 im thüringischen Sonneberg geboren und mittlerweile als Chef des Ilmenauer Hotels "Tanne" tätig, war einer der Künstler, für den MASCHINE Anfang der 90er Jahre ein Lied namens "Ich hab' so großes Heimweh" komponierte, welches mittlerweile auch die WILDECKER HERZBUBEN in ihrem Programm haben. Auch sie gastierten vor einigen Tagen in Ilmenau, MASCHINEs Frage, ob wir da auch dabei gewesen wären, rief allerdings ein allgemeines Raunen und Gelächter hervor ... "Wer nichts wird, wird Wirt" - mit diesen Worten gesellte sich der von sich selbst so bezeichnete "Schlagerfuzzi" Peter Ehrlicher auf die Bühne und präsentierte mit MASCHINE das eben besagte Lied. Die Stimmung war absolut famos, alle im Saal schunkelten mit und kaum ein Auge blieb dabei trocken ... Ja, Musik soll in allererster Linie Spaß bereiten und muss nicht immer nur todernst und verbissen rock'n'rollig daherkommen, oder???
Kais sich unmittelbar anschließende Frage an MASCHINE: "Das war eine Super-Nummer, warum hast Du das denn unter falschem Namen veröffentlicht?" Die Antwort: "Wie lautete jetzt noch mal die Frage???" :-) Abschließend erläuterte MASCHINE noch, wie es ihm beim allerletzten Konzert der PUHDYS ging, wie er sich als "Neubeginner" fühlt und beantwortete Kais letzte Frage, "Gibt es noch einen Wunsch, den Du Dir erfüllen möchtest?", mit den folgenden Worten: "Es soll alles so bleiben, wie es ist und soll sich dann ganz langsam steigern ..." Bei dieser Gelegenheit erwähnte er auch, dass im Oktober 2019 eine neue Edition des Albums "Alle Winter wieder" mit drei neuen Songs veröffentlicht wird. Mit bisher 13 Terminen zwischen Rostock und Erfurt steht auch schon die entsprechende Tour 2019/20 mit den Gästen Alexander Knappe sowie Chiara & Gina in den Startlöchern. Die Termine dazu findet Ihr am Ende dieses Beitrags.
Damit klang die Talkshow zunächst aus und MASCHINE erfüllte den Wunsch der Besucher, noch etwas Live-Musik von ihm zu hören: "He, John", "Lebenszeit" und "Alt wie ein Baum" rundeten das Programm perfekt ab, seine für ihn typisch weit in die Luft gestreckte Arme drückten seinen Dank ans Publikum aus, das ihn selbstverständlich noch nicht gehen lassen wollte. "Hey, wir woll'n die Eisbärn sehn" setzte den Schlusspunkt. Nein, ganz so weit es war es doch noch nicht. Kai machte MASCHINE mit einem verschmitzen Lächeln im Gesicht darauf aufmerksam, dass es in der Ilmenauer "Festhalle" keinen Backstage-Ausgang gibt und so wurden uns noch "Sommer und Winter" vom Album "Alle Winter wieder" sowie "Was bleibt" präsentiert. "Was bleibt, sind Freunde im Leben ..." - dazu braucht es nicht zwingend 3.000 Fans. Auch knapp 200 Leute können innig, absolut in sich versunken und dennoch miteinander verbunden singen. MASCHINEs Stimme wurde leiser, der Sound seiner Gitarre verklang langsam, beides ging fast in ein "Nichts" über, aber der Gesang des Publikums bewies, dass MASCHINE und seine Musik zu den Freunden unseres Lebens gehören ... Ein eindrucksvolles Finale eines schönen Abends.
Nach dem berühmten Bühnenabgang dauerte es keine fünf Minuten und MASCHINE erschien wieder, um Autogramm- und Fotowünsche zu erfüllen. Auch meinen Wunsch erfüllte er, seit Samstag steht eine für mich gewidmete und signierte Vinyl-Ausgabe seines Albums "Neubeginner" in meinem Plattenschrank ... MASCHINE - trotz aller seiner Erfolge ein nach wie vor sympathischer Rocker zum Anfassen. Mein herzliches Dankeschön für einen unvergesslichen Abend in Ilmenau geht an MASCHINE und Kai! Nun wird es vielleicht so sein, dass sich manche Leserin und mancher Leser fragt, warum es in diesem Bericht auf so viele Fragen keine Antworten gibt. Hmmm ...??? Der Grund dafür ist eigentlich ganz einfach: Besucht diese Talkshow auf einer ihrer nächsten Stationen, seid gespannt auf das, was MASCHINE zu erzählen hat und freut Euch auf einen gemütlichen, unterhaltsamen, kurzweiligen und wahrlich verdammt spannenden Abend mit Kai Suttner und MASCHINE!
PS. Am vergangenen Samstagabend war es noch nicht so weit, aber nun gratuliere auch ich Maschine ganz herzlich zum 75. Geburtstag und wünsche ihm von Herzen alles erdenklich Gute.
Bericht mit Fotos von Mike Brettschneider; Quelle: Deutsche Mugge